Selten habe ich so schnell einen Draht zu meinen Gesprächspartnern gehabt. Ich habe ja viele Jahre lang selbst Pflegekinder betreut und darum hatten die Vertreter des Vereins Pflege- und Adoptivfamilien NRW (PAN) rasch eine gemeinsame Grundlage für ein fruchtbares Gespräch gefunden.
Bei PAN sind Pflege- und Adoptivfamilien in örtlichen und überörtlichen Gruppen sowie Selbsthilfe-Initiativen in ganz Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen.
Geschäftsführer Reiner Rettinger, der erste Vorsitzende Joscha Boris Stillner und sein Stellvertreter Martin Maria Niedermeier und ich haben aber nicht nur Erfahrungen ausgetauscht, sondern auch Pläne geschmiedet, um die Situation der Pflegefamilien sichtbarer zu machen.
Kinderschutz kein Thema in der Ausbildung
Im anfänglichen Erfahrungsaustausch wurde die Unzufriedenheit und die Vielzahl an zumeist negativen Erfahrungen mit den Jugendämtern deutlich. Oft hake es an den geringen Erfahrungen der jeweiligen Mitarbeiter. Bereits an der Ausbildung hapere es: Reiner Rettinger betonte unter anderem, dass der Kinderschutz bereits bei der Ausbildung zu kurz komme. Meine Forderung darum: Kein Studienabsolvent solle die Uni verlassen, ohne dass der Kinderschutz „intensiv beackert“ wurde – zumal viele Absolventen mit Kinderschutz vor allem Missbrauch verbinden, ohne zu wissen, dass es in diesem Bereich noch viel mehr gibt. Es fehle das Wissen um die Situation von Pflegekindern und angesichts fehlender Erfahrungen „wird schnell zu Tabletten gegriffen“, so Niedermeier. Er berichtete von Schwierigkeiten, wenn er als Ehrenamtler in die Verwaltungen „hineinriecht“ und berufliche Fragen reguliert. Pflegefamilien und Jugendämter hätten letztlich das gleiche Interesse, der Kampf zwischen beiden sei unnötig, „es geht viel Energie drauf“, fügte ich hinzu. Als Ärgernis wurden auch die unterschiedlichen lokalen Arbeitsweisen und die uneinheitlichen Grundlagen bezeichnet: Bei einem Umzug führten die jeweiligen lokalen Regelwerke zu völlig neuen Verhältnissen. Darum finde ich: Die Vereinheitlichung ist sehr wichtig. Die Haushaltslage der Kommune darf dabei nie das Maß für den Kinderschutz sein.
„Es ist Aufgabe des Staates und der Jugendämter, die Kinder zu unterstützen“
Pflegefamilien haben innerhalb der vielen Familienformen einen schweren Stand, sie stehen insbesondere bei Kindern mit Behinderung vor besonderen Verantwortungen. Überhaupt liegen die Ursprünge vieler Probleme im medizinischen Bereich. Die Pflegeeltern sind nicht für diese Defizite verantwortlich, müssen sich aber mit den Jugendämtern in besonderer Weise auseinandersetzen. „Es ist Aufgabe des Staates und der Jugendämter, die Kinder zu unterstützen“, so Rettinger. Nicht ohne Grund habe der Verein PAN ein Notfalltelefon für seine 450 Mitglieder. Er betonte, dass PAN vor allem kindkonzentriert arbeite und weniger familienkonzentriert.
Vernachlässigungen „sehr schwerwiegend“
Hoch sind die Anforderungen, die an Pflegefamilien gestellt werden. Kinderschutzanzeigen, wenn die Kinder unbequem werden lassen das System kollabieren und „die Pflegefamilie steht am Pranger“, so Niedermeier. Es würden teilweise Forderungen an die Pflegefamilien gestellt, die irgendwelchen Erwartungen, aber wenig der Realität entsprechen. Der Ruf nach einer Fachaufsicht ertöne oft, ist aber meiner Meinung nach wenig sinnvoll. Welche Expertise eine solche Fachaufsicht haben soll, welche Aufgaben diese umfasst oder „ob nur Akten angeschaut werden“, fragte auch Rettinger. Vielmehr bedürfe es in der Politik des intensiven Austauschs über die Frage, was an dieser Stelle wirklich gebraucht wird. Denkbar sei auch eine zusätzliche Ausbildung an dieser Stelle. Insbesondere die Fälle von Vernachlässigung seien „sehr schwerwiegend“, so Niedermeier.
Wissenschaftliche Auswertung der Erfahrungen
Viel Lob gab es für Familienministerin Josefine Paul, die mit viel Erfahrung aufwartet, bei Veranstaltungen sehr interessiert ist und viele Nachfragen stellt – so bei der Vorstellung des neuen Portals des Familienministeriums. Darum plant PAN, seine Erfahrungen auf wissenschaftliche Beine zu stellen, eine Methodik zu erarbeiten und damit möglichst über mich auf das Familienministerium zuzutreten.
Stillner verwies auf die Fachzeitschrift „Pate“ mit rund tausend Empfängern und bat mich, etwas dazu beizutragen, beispielsweise ein Interview. Rettinger räumte ein, mit PAN über Jahre keine aktive Pressearbeit gemacht zu haben, „wir sind nicht präsent gewesen“.
Idee: ein parlamentarischer Abend im Landtag
Zuletzt wurde die Idee eines parlamentarischen Abends im Landtag geboren. Neben den Abgeordneten sollten Fachleute eingeladen werden sowie neben der Familienministerin auch Vertreter der Landesjugendämter. Ein Fachvortrag und Berichte betroffener Kinder könnten hier das Interesse der Besucher wecken. Über den Fachtag im Landtag hinaus möchte ich noch tiefergehend mit PAN ins Gespräch kommen.
Weiterer Austausch zum Thema „Retraumatisierung“
Mein Fazit: Pflegefamilien „kümmern sich ohne Ausbildung um die Kinder und kriegen doch alle Fehler raus“, formulierte es Niedermeier. Und ich finde, sie halten eine ganze Menge aus. Das Thema „Umgangskontakte“, die Bedeutung des Willens der Kinder wie sie in der Instanbul-Konvention geregelt wird und die Frage der Retraumatisierung soll bei einem weiteren Treffen konkretisiert werden.
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