Die Selbstmordrate unter Jugendlichen ist unerträglich hoch. Mit aller Kraft werde ich mich darum im Landtag für den Ausbau und die Finanzierung von Beratungsangeboten stark machen. Die Beratungsstelle „U25 Deutschland“ mit Sitz in Paderborn bat mich jetzt um Unterstützung – und erläuterte mir die erschreckenden Hintergründe ihrer wichtigen Arbeit. Insbesondere junge Menschen in schweren Krisen überhaupt zu erreichen ist schwierig. Darum setzt die Beratungsstelle auf so genannte „Peers“: Dies sind speziell ausgebildete Gleichaltrige, die Hilfesuchende nach deren erster Kontaktaufnahme betreuen – ehrenamtlich. Bei einer Gesprächsrunde lernte ich unter anderem Steffen Südhoff kennen. Der 19-Jährige berichtete von seiner Arbeit und wie er mit den Situationen umgeht, denen er sich gegenübersieht. Um seine Aufgabe zu bewältigen, wurde er in einem speziellen Kurs 32 Stunden lang geschult, weitere Fortbildungen schlossen sich an. Steffen trägt die Verantwortung aber nicht allein. Ihm zur Seite stehen die Sozialarbeiterin Inken Fuchs vom Caritasverband Paderborn sowie der Fachbereichsleiter Dominik Neugebauer. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass ein Jugendlicher mit Selbstmordgedanken niederschwellig, kostenlos und ganz einfach zunächst per Handy Hilfe bekommt. „Wir sind keine direkte Krisenberatung“, betonte Inken Fuchs, „wir sind eher eine Langzeitberatung“.
Via E-Mail können sich die Betroffenen ihre Sorgen und Ängste von der Seele schreiben und die Peers nehmen sich dann die Zeit, darauf einzugehen. Innerhalb von 48 Stunden wird geantwortet. „Ich nehme mir die Zeit, alles sacken zu lassen, bevor ich antworte“, erklärt Steffen. Das ist nicht immer leicht. „Manche Nachrichten sind schwer auszuhalten“, weiß Dominik Neugebauer. Aber sie sind eine Chance zur Hilfeleistung. „Die Scham, persönliche Krisen auszusprechen, ist sehr groß“.
Diese mitunter lebenswichtige Aufgabe muss finanziert werden. Über den Kinder- und Jugendhilfeplan des Bundes gibt es pro Standort 0,5 Vollzeitäquivalente. Doch dies reicht nicht aus. „Die Ampel steht ganz oft auf rot“, beschreibt Inken Fuchs das bundesweit agierende Netzwerk, dass auf seiner Plattform freie Beratungskapazitäten anzeigt. Meist zeigt so eine Ampel nur wenige Minuten grün, dann hat wieder ein verzweifelter junger Mensch einen Kontakt hergestellt. Darum will die Beratungsstelle nicht nur in Paderborn, sondern an den elf Stellen in ganz Deutschland „die Ampel auf grün stellen“, so Dominik Neugebauer. Hier könnten Landesmittel die Lücken schließen helfen. Gleichzeitig liegt aber genau hier das Problem: Eine Landesförderung richte sich vor allem an Hilfesuchende aus NRW. Das aber gibt die Realität gar nicht her. „Wir haben auch Suchende beispielsweise aus München, aber dies können wir natürlich nicht filtern“, so Inken Fuchs.
Die Zahlen, die die Beratungsstelle U 25 nennt, sind erschreckend. Alle 53 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben, alle 4 Minuten kommt es zu einem Versuch. Es sterben durch Suizide mehr Menschen als durch Verkehr, illegale Drogen und Aids zusammen. Im Alter zwischen 15 und 25 Jahren sind vor allem Frauen betroffen, im Jahr 2019 war Selbstmord die häufigste Todesursache bei Jugendlichen. „Der Bedarf ist riesig“, so Inken Fuchs. 200 Ehrenamtliche versuchen bundesweit, den Verzweifelten Hilfe zu leisten. 85 davon gibt es in NRW, sie hielten Kontakt zu 496 Ratsuchende. Mit gutem Erfolg: Von den deutschlandweit 2202 Ratsuchenden schätzten 89 Prozent das Angebot als Hilfreich ein, 96 Prozent empfehlen es weiter.
Die Paderborner Beratungsstelle geht das Problem offensiv an: Zu ihren Aufgaben gehört auch die Suizidprävention an Schulen – Titel „Ausweglos“. Wunsch der Beratungsstelle ist nun die Förderung weiterer Angebote und die Bildung regionaler und landesweiter Netzwerke.
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